06 | Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt e.V.

Shownotes

Annemarie Kock und Andreas Isensee leisten Beratungs- und Selbsthilfearbeit im Auftrag des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Sachsen-Analt e.V. Außerdem produzieren sie selbst einen Podcast. Mit uns sprechen sie über Frühförderung, Anträge, Assistenz und Kuchen.

Hier sind Deine Shownotes für diese Episode.

Zu Gast

Annemarie Kock ist seit ihrer Geburt blind, arbeitet in der Stendaler Beratungsstelle „Blickpunkt Auge“ und berät dort von Sehverlust betroffene Menschen, unter anderem zu Themen wie Hilfsmittel und finanzielle Ansprüche.

Andreas Isensee bietet beim Blinden- und Sehbehindertenverband in Magdeburg eine unabhängige Teilhabeberatung an und hat jahrelang selbst als Assistenz körperbehinderter Menschen gearbeitet.

Zum Thema: Brailleschrift

Braille-Schrift ist eine internationale Blindenschrift. Sie basiert auf einem System von ertastbaren Punkten, die von hinten in das Papier geprägt werden. Jedes abzubildende Zeichen – also Buchstaben, Zahlen und Zeichen – wird in ein bestimmtes Punktmuster übersetzt, das jeweils aus bis zu sechs Punkten besteht. Diese Kombination bietet im Kern Platz für bis zu 63 verschiedene Zeichen.

Mittlerweile gibt es für verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Disziplinen eigene Zeichensätze. Das Computerzeitalter brachte etwa die 8-Punkt-Braille für die Bildschirmarbeit; es gibt aber auch eine Braille-Matheschrift oder eine Braille-Musikschrift.

Die Punktschrift wurde um 1825 vom französischen Blindenlehrer Louis Braille erfunden und gilt als einer der wichtigsten Errungenschaften des Blindenwesens. (Quelle: DBSV.org)

Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt e.V.

Der Deutsche Diabetikerbund – Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. wurde 1990 gegründet, reicht aber strukturell bis in die DDR zurück. Aktuell engagieren sich ca. 800 Mitglieder in rund 100 Selbsthilfegruppen, organisiert in 4 Bezirksgruppen: Nord, West, Süd, Elbe-Mulde.

(Stand Juli 2022; Informationen bereitgestellt durch Andreas Isensee; Anm. d. Red.)

Den passenden Kontakt zur jeweiligen Regionalgruppe und zur jeweiligen Beratungsstelle findest Du direkt auf der Website: www.bsvsa.de

Anlaufstellen für Betroffene von Sehverlust und Sehbehinderung

im mitteldeutschen Raum (Auszug):

Magdeburg: Universitätsaugenklinik

Halle: Institut für Augenheilkunde

bundesweit:

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.

Podcast: Annes Blick auf die Welt der Sehenden

„Annes Blick auf die Welt der Sehenden“ ist ein Podcast mit unregelmäßiger Erscheinungsweise. Die geburtsblinde Anne berichtet dem Sehenden Andreas, von ihrem Leben und ihren Erfahrungen in einer aufs Visuelle ausgerichteten Welt.

Alle Folgen und verfügbaren Podcatcher unter https://anchor.fm/abadwds

Buch: Jetzt kommt Licht ins Dunkel

Erschienen am 01.09.2021 im Verlag Hartmut Becker. 280 Seiten. Gebunden.

Anne berichtet in 100 Geschichten über Erlebnisse aus der Schulzeit und ihrem Alltag als blinde Frau. Mit humoriger Note teilt sie Anekdoten über Inklusion, Potentiale und die Schwierigkeiten blinder und sehbehinderter Menschen in unserer Gesellschaft.

Jugendfreizeit / Blindencamp

Die von Anne angesprochene Aktivität ist das „Blindencamp“ des Lions-Club Jesterburg. In zwei Wochen haben 20 junge blinde und stark sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, an Aktivitäten wie Reiten, Autofahren oder Segeln teilzunehmen. Die Campsprache ist Englisch. Das Blindencamp findet planmäßig alle zwei Jahre statt: 2020, 2022, 2024 etc.

Infos dazu gibt es direkt auf der Website: Lions.de

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Andreas arbeitet in Magdeburg als ergänzender Teilhabeberater bei der EUTB der „Fachstelle Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“.

Zitat: „Die Fachstelle Teilhabeberatung unterstützt fachlich und organisatorisch die regionalen Beratungsangebote, die im Rahmen der EUTB® ab dem 1. Januar 2018 gefördert werden. Konkret bedeutet dies, dass sich die EUTB®-Beraterinnen mit sozialrechtlichen, sozialpädagogischen und sozialmedizinischen Fragestellungen an ihre Beraterinnen aus den Regionalteams der Fachstelle wenden können. Darüber hinaus berät die Fachstelle Teilhabeberatung rund um das Thema Barrierefreiheit und unterstützt bei organisatorischen Fragen.“

Mehr Infos zum Selbstverständnis, den Angebot der EUTB und Aktionen wie den Inklusionstagen, findest Du barrierefrei auf der Website: Teilhabeberatung.de

Welttag des Sehens / World Sight Day

Zweiter Donnerstag im Oktober (jährlich): Der Welttag des Sehens / World Sight Day macht verstärkt auf eigenverantwortliche Augenfürsorge aufmerksam, sensibilisiert im Gegenzug auch für Barrierefreiheit für blinde und Menschen Sehbehinderung. (Quelle: Woche-des-Sehens.de)

Kontakt

Für die Bereitstellung der Räumlichkeiten in Stendal danken wir herzlich dem Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt e.V.

Du hast Fragen, Anregungen und konstruktive Kritik zum Podcast und dieser Episode? Dann schreib uns einfach eine Mail: ausgesprochen-menschlich@san.aok.de

Mehr Informationen zu Projekten, Angeboten und Förderung rund ums Thema Selbsthilfe bei der AOK Sachsen-Anhalt, findest Du unter www.deine-Gesundheitswelt.de/Selbsthilfe

Transkript anzeigen

Transkript

Episode 06

Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt e.V.

Moderation

Robert Gryczke

Zu Gast

Andreas Isensee (Teilhabeberater)Annemarie Kock (Leiterin Beratungsstelle)

Intro

Robert Gryczke: Wir müssen mal reden. Über ein Leben mit chronischer Erkrankung; mit Behinderung – und über Selbsthilfe. „ausgesprochen menschlich - Selbsthilfe auf Sendung“ Ein Podcast der AOK Sachsen-Anhalt.

Robert Gryczke:

Robert Gryczke: Und damit herzlich willkommen zur sechsten Episode ausgesprochen menschlich – Selbsthilfe auf Sendung. Mein Name ist Robert Gryczke und in jeder Episode stelle ich eine Selbsthilfegruppe vor, rede mit meinen Gästen über Selbsthilfe, Selbsthilfearbeit, persönliche Erfahrungen und alles, was uns sonst unter den Nägeln brennt. Wie immer findet ihr Infos und Hinweise, begleitende Informationen in den Shownotes. Da könnt ihr uns auch Feedback hinterlassen. Schaut da gerne mal hinein. Normalerweise gibt es an der Stelle immer eine kleine Einordnung zu dem Thema, das wir in der aktuellen Episode behandeln. Über Begrifflichkeiten wie Blindheit, auch qua Gesetz, reden wir garantiert im Laufe der Episode noch ausreichend. Aber einen anderen Begriff würde ich kurz einordnen, und zwar Braille oder Braille-Schrift. Denn der Begriff fällt im Kontext zu Sehbehinderung und Blindheit relativ häufig, deswegen habe ich gedacht, gebe ich euch mal einen kurzen Einblick, beziehungsweise einen kurzen Überblick.

Robert Gryczke: Die Braille-Schrift ist eine internationale Blindenschrift. Sie basiert auf einem System von ertastbaren Punkten, die von hinten in das Papier geprägt werden. Jedes abzubildende Zeichen, also Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen, wird in ein bestimmtes Punktmuster übersetzt, das jeweils aus bis zu sechs Punkten besteht. Diese Kombination bietet im Kern Platz für bis zu 63 verschiedene Zeichen. Mittlerweile gibt es für verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Disziplinen eigene Zeichensätze. Das Computerzeitalter brachte etwa die Achtpunkt-Braille für die Bildschirmarbeit. Es gibt aber auch eine Braille-Matheschrift und eine Braille-Musikschrift. Die Punktschrift wurde um 1825 vom französischen Blindenlehrer Louis Braille erfunden und gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften des Blindenwesens. Und damit kommen wir zu unseren heutigen Gästen.

Robert Gryczke: Ich begrüße zunächst Annemarie Kock, die in der Stendaler Beratungsstelle Blickpunkt Auge von Sehverlust betroffene Menschen berät, unter anderem zu Themen wie Hilfsmittel, finanzielle Ansprüche oder auch die Bewältigung sozialer Probleme, die selbst seit ihrer Geburt blind ist. In ihrem Buch Jetzt kommt Licht ins Dunkel erzählt sie Geschichten aus dem Leben als blinde Frau und mit ihrem Kollegen Andreas Isensee zusammen produziert sie den Podcast Annes Blick auf die Welt der Sehenden. Herzlich willkommen, Anne.

Annemarie Kock: Hallo.

Robert: Und der Kollege sitzt heute praktischerweise direkt daneben. Andreas Isensee, der in Magdeburg eine ergänzende und unabhängige Teilhabeberatung beim Blinden- und Sehbehindertenverband anbietet und die Beratungsstelle praktischerweise auch koordiniert. Er engagiert sich jahrelang in der Selbsthilfe für junge Menschen. Und natürlich moderiert er mit Anne zusammen den angesprochenen Podcast. Herzlich willkommen auch dir und vielen Dank dafür, dass ihr uns hier empfangt.

Andreas Isensee: Ja hallo.

Robert: Vielleicht wollt ihr kurz mal das hier vorstellen. Wo befinden wir uns jetzt gerade?

Anne: Das mache ich einfach.

Robert: Ja.

Anne: Ja genau. Also wir befinden uns hier in der Beratungsstelle Blickpunkt Auge am Standort Stendal. Wir sind hier am Roland-Ärztehaus. Da wird den Stendalern bestimmt etwas sagen. Und wir haben hier so ein Büro, in das eben Menschen, die Fragen zu allen Themen rund um Blindheit und Sehbehinderung haben, in den Sprechzeiten zu uns kommen können und wir werden sie dann hier beraten.

Robert: Normalerweise reden wir über Selbsthilfearbeit, aber es ist zumindest jetzt aktuell noch sehr selten, dass unsere Gäste selbst einen Podcast betreiben. Und da hatte ich gedacht, wir können die Brücke gleicht einmal nutzen. Welche Motivation gibt es überhaupt, den Podcast zu produzieren? Vielleicht Anne, fangen wir mit dir an.

Anne: Also du hast gerade diesen Selbsthilfeaspekt angesprochen. Viele stellen sich unter einer Selbsthilfe eine Gruppe vor, zu der sie hingehen, einmal die Woche und sich austauschen. Aber Selbsthilfe sind ja ganz, ganz viele andere Sachen. Selbsthilfe gibt es ja mittlerweile auch schon in den sozialen Medien. Es gibt zum Beispiel zu den unterschiedlichsten Themen bei YouTube auch Formate auch zum Thema Blindheit. Und wir haben überlegt, dass es vielleicht schön wäre, dass ich so einen Einblick gebe in meine Lebenswelt, da man ja als blinder Mensch oder auch als geburtsblinder Mensch schon andere Erfahrungen macht. Mein Kollege kam auf mich zu und fragte mich, hast du Lust, das zu machen. Und wir machen diesen Podcast jetzt seit eineinhalb Jahren.

Robert: Seit eineinhalb Jahren. Ich würde mal einordnen, regelmäßig, unregelmäßig. Wie oft soll er erscheinen?

Anne: Theoretisch einmal im Monat. Oder alle zwei?

Andreas: Genau, so haben wir angefangen. Und dann ist es weniger geworden. Aber das gar nicht so, weil uns die Ideen gefehlt haben, sondern weil wir immer zeitlich nicht zueinander gefunden haben. Robert, das kannst du sicherlich bestätigen, es steckt wesentlich mehr Arbeit hinter so einem Podcast, als man manchmal denkt.

Robert: Ja, definitiv.

Andreas: Genau. Und da Anne auch in Stendal wohnt und ich in Magdeburg und wir auch immer noch ein Unterstützersystem drum herum haben, die uns helfen. Wir haben auch manchmal eine Folge aufgenommen, die wir nicht veröffentlicht haben, weil sie einfach murks war. Aber wir versuchen, da wieder in einen guten Rhythmus zu kommen.

Robert: Aber das finde ich auch total wichtig, dass man reflektiert sagen kann, das ist eine Episode für die Mülltonne. Das ist nämlich mein Eindruck. Es gibt ja mittlerweile unfassbar viele Podcasts zu jedem Thema. Und ich habe manchmal den Eindruck, dass es da Episoden gibt, die hätte man vielleicht nochmal rückwirkend angefasst, oder man hätte sich vielleicht auch dazu entscheiden können, sie nicht zu senden, weil sie an manchen Stellen vielleicht auch nicht sendbar sind. Das finde ich auch mal eine spannende Entscheidung, zu sagen, nein, wir haben ein Mindestmaß an Qualität, was wir einhalten. Das muss keine reguläre Episode sein. Eine Frage, das kann Anne vielleicht auch irgendwie einordnen, der Podcast erscheint aber nicht basierend auf dem Buch?

Anne: Nein.

Robert: Okay. Als ich die letzten Episoden quergehört habe, habe ich immer mal Verweise auf das Buch herausgehört.

Andreas: Das ist ja während wir den Podcast aufgenommen haben, irgendwann erschienen.

Anne: Genau.

Andreas: Deswegen lag das dann nahe. Also am Anfang gab es das Buch noch nicht. Da hast du noch dran gearbeitet, richtig?

Anne: Genau, ja.

Andreas: Und später, bei irgendeiner Episode wurde es dann veröffentlicht und da sind wir darauf eingegangen. Und jetzt lese ich das ja auch Stück für Stück und dann kommt das natürlich immer mal wieder hoch, dass ich dann auch irgendwelche Fragen an Anne habe zum Buch.

Anne: Und wir empfehlen es dann natürlich auch immer wieder.

Robert: Das bietet sich total an. Ich mache mal einen kurzen Schwenk. Anne, wie lange hast du an dem Buch geschrieben?

Anne: Geschrieben vielleicht nicht einmal ein halbes Jahr. Die Texte, die flossen eigentlich aus mir heraus. Entstanden ist es, weil ich ganz viele Geschichten hatte. Ich hatte mich mit meiner Mobilitätstrainerin, die dafür zuständig ist, dass man mit dem Langstock umgehen lernt, mal ausgetauscht. Und wir haben ganz viel erzählt, wie ich die Welt früher wahrgenommen habe. Und sie meinte dann Mensch, das ist eigentlich richtig toll. Das würde Eltern bestimmt interessieren. Schreib das doch einmal auf. Und ich kenne mich ja auch selber. Dann habe ich gedacht, ich schreibe mal etwas auf. Ich hatte gedacht, vielleicht zwei Texte und dann schmeißt du den ganzen Kram eh wieder weg. Und aus den zwei Texten sind hundert geworden, weil ich einfach irgendwie immer mehr Themen hatte, zu denen ich gerne etwas schreiben wollte.

Robert: Andreas, du bist einer der vielen Menschen, die das Buch nicht selbst geschrieben hat.

Andreas: Stimmt.

Robert: Was würde mich erwarten, wenn ich das Buch jetzt aufschlage? Du redest ja auch im Podcast gerne darüber. Was hat dich so geflashed?

Andreas: Ich zitiere mal meine Tante, der ich das Buch geschenkt habe, das ist vielleicht noch besser. Ich kannte schon viele Geschichten einfach auch schon von Anne, weil wir schon viel Zeit auf Weiterbildungen und so verbracht haben. Ich weiß, wenn sie die niederschreibt, ist das natürlich ein bisschen anders geschrieben, aber meine Tante hat zum Beispiel gesagt, dass sie die Geschichten sehr unterhaltsam und auch sehr lustig findet. Teilweise ist das sehr witzig. Und dass es ihr auch einen Einblick in ein Thema ermöglicht, wo sie gar keine Ahnung von hatte. Und trotzdem hat das Buch sie total gefesselt und sie hat es total gerne gelesen. Ohne dass sie irgendwelche Berührungspunkte mit dem Thema hat, fand sie es trotzdem mega interessant. Ich habe ihr das glaube ich zu Weihnachten geschenkt und sie hat mir dann später nochmal gesagt, das passiert ja bei Buchgeschenken nicht so oft, wie cool sie das Buch fand. Also da ist sie nochmal auf mich zugekommen und hat gesagt, das war ein richtig gutes Geschenk, das hat ihr supergut gefallen.

Robert: Also ich habe mir von eurem Podcast die letzte Episode komplett und im Zuge der Vorbereitung die ersten sechs davor so quergehört. Und ich hatte nie den Eindruck, dass ihr mit dem Thema Blindheit und Sehverlust, Seheinschränkungen et cetera, dass ihr da so ein Trauerspiel draus macht. Also ich habe nicht den Eindruck, dass es um Betroffenheit geht, sondern es wird viel aufgeklärt und eingeordnet, aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass man Betroffenheit hervorrufen will.

Anne: Das soll es auch nicht. Das soll auch das Buch nicht. Für mich persönlich ist eigentlich eher wichtig, Menschen aufzuklären. Also wie möchte ich gerne behandelt werden und vor allem auch was ist möglich, wenn man sehbehindert ist, oder in meinem Fall eben, wenn man blind ist. Und ich meine, es gibt heute ja ganz, ganz viele Möglichkeiten. Also dank moderner Technik. Ich meine, es gibt ja fast nichts, was man jetzt nicht kann. Außer Auto fahren (lacht).

Andreas: Außer Auto fahren. Obwohl, das gab es auch tatsächlich an der Ostsee. Da gab es Autofahren für blinde und sehbehinderte Menschen. Da wurde ein Militärflugplatz gemietet und ganz viele Fahrschulen zusammengezogen und dann durften die blinden und sehbehinderten Menschen dort Auto fahren.

Anne: Wir haben das auch gemacht. Oder habe ich dich jetzt unterbrochen?

Andreas: Nein, alles gut.

Anne: Ich mache mal Werbung. Es gibt von den Leos, das sind die Nachwuchsmenschen von den Lions. Es gibt ja den Lions Club und die jungen davon sind die Leos. Und die Leos organisieren alle Jahre eine Jugendfreizeit für Blinde in ganz Europa. Das ist relativ unbekannt und ich bin da auch nur zufällig drauf gestoßen. Die machen in diesen zehn, vierzehn Tagen, wo die Leute da sind, mit den ganz coole Sachen, die man sonst nicht machen kann. Also die gehen mit denen klettern, die gehen Inlineskaten, also ganz viele wirklich aktive Sachen. Und da ist dann wirklich auch Auto fahren dabei. Ich habe das selber zweimal mitgemacht. Und das ist zum einen cool, weil man lernt ganz viele neue Menschen kennen, eben auch aus anderen Ländern. Man kann sich austauschen. Und man erlebt wirklich eine ganze Menge zusammen. Und das ist richtig schön. Und die Betreuer sind auch in einem ähnlichen Alter und machen sich ganz, ganz viel Mühe, es den Leuten da so schön wie möglich zu machen. Das ist eine richtig tolle Sache.

Robert: Sehr gut. Also im Zweifelsfall, wir packen die Information, so wie viele andere Informationen in die Shownotes. Da findet ihr bei Bedarf auch das Transkript zum Nachlesen, zum Hören. Ihr könnt die Episode also auf allen Verwertungswegen konsumieren. Bevor ich lange drum herum frage, inwiefern kann ein Podcast Selbsthilfearbeit unterstützen oder auch Selbsthilfearbeit sein?

Anne: Also alleine schon deswegen, weil man aufzeigt, was ist möglich. Also ich meine, ohne das jetzt in irgendeiner Form eingebildet zu meinen, aber vielleicht bin ich für manche ja auch eine Art Vorbild oder jemand, an dem man sich vielleicht auch orientieren kann. Also ich kann den Leuten zeigen, das und das und das ist machbar. Oder die Unterstützung kann man nutzen. Also das ist quasi kein Austausch in einer Gruppe, sondern es ist einfach eine Informationsvermittlung durch das Gespräch von Andreas und mir.

Andreas: Also wir versuchen ja auch immer ein bisschen nützliche Sachen noch mit in unser Gespräch mit einfließen zu lassen. Also entweder sind es irgendwelche Informationen zu Leistungen, wir reden oft auch über die Assistenz von Anne, oder zumindest ab und an. Dann stellen wir auch gelegentlich Hilfsmittel vor, was es da so Neues gibt und was Anne davon hält oder was ich davon halte. Und das ist ja das Ziel von Selbsthilfe, letztlich nur ein bisschen anders. Dass Anne Ihr Wissen nicht in einer Gruppe weitergibt, sondern so in den Etat streut durch den Podcast.

Robert: Damit man sich es vorstellen kann, Anne, was erwartet vielleicht Eltern mit Kindern, mit Jugendlichen, die von Sehverlust betroffen sind? Also entweder seit der Geburt, obwohl ich mir vorstellen kann, dass da der Weg ein anderer ist, aber auch mit jungen Menschen, die von Sehverlust unvermittelt getroffen sind.

Anne: Ich jetzt beides schon erlebt. Also es ist bei Kindern, die von Geburt an eine Seherkrankung haben oder ein Sehbeeinträchtigung haben, tun sich bei den Eltern immer ganz viele Fragen auf. Zum einen ist es natürlich erschütternd, dass das Kind in Anführungsstrichen nicht gesund ist. Ich meine, unabhängig davon, dass das Kind später wahrscheinlich ein relativ selbstständiges Leben führen können wird, aber erstmal ist das natürlich sehr erschreckend. Dann stellen sich auf einmal ganz viele Fragen. Dann steht in Frage, wo geht das Kind in den Kindergarten, wo geht das Kind vielleicht später in die Schule. Also viele Eltern denken da ja auch schon weiter. Dann stellt sich die Frage, was gibt es eigentlich für Hilfen, wie bekomme ich den Schwerbehindertenausweis, warum bekomme ich ihn jetzt gerade nicht. Es sind ganz, ganz viele Fragen, die dann kommen. Und dann kommen die Eltern hoffentlich dann zu mir. Und dann versuchen wir, so gut das eben möglich ist, eine Lösung zu finden. Also ich kann dann die Eltern teilweise auch über Hilfsmöglichkeiten beraten, was es zum Beispiel für Frühfördermöglichkeiten gibt. Weil ein blindes oder sehbehindertes Kind, oder ich würde fast sagen, ein blindes Kind noch mehr, braucht eine andere Frühförderung als ein sehendes Kind, was quasi einfach mitläuft und viele Sachen so nebenbei dann mit lernt. Also ein blindes Kind braucht zum Beispiel eine andere Schulvorbereitung als ein sehendes Kind.

Robert: Ich kann mir vorstellen, dass wenn man hier arbeitet, dass es auch zu sehr emotionalen Szenen kommen kann. Allerdings kann es auch sein, dass es bloß meine verkopfte Vorstellung ist, weil ich auch immer so viel Bauch- und Herzmensch bin und manchmal zu wenig Kopfmensch. Aber was ist so der herausforderndste Part, Anne, bei dir? Bei deiner Arbeit. Und was ist vielleicht auch der schönste, da wo du am meisten zurückbekommst?

Anne: Also am schönsten ist es tatsächlich, die Kinder, von denen die Rede ist, kennenzulernen. Das ist tatsächlich auch schon ein paarmal passiert. Also ich habe schon ein paar meiner Schützlinge, Kinder oder ein paar der Kinder aus dem Verein auch schon kennengelernt. Das ist immer eine total spannende Sache, auch zu sehen, wie toll die entwickelt sind und wie fit die sind. Und das ist immer echt schön. Ich habe mal einen Elternstammtisch gemacht und dann kam ein Kind auf mich zu und sagte, es war schön, das können wir nochmal machen oder so. Und da habe ich mir gedacht, es ist super, wenn es für die Kinder schön war. Was ich eigentlich oft frustrierend finde oder schlimm finde ist, dass es hier keinen schönen Ankerpunkt gibt, was die schulische Unterstützung angeht. Also es gibt hier für den Norden Sachsen-Anhalts eine Blindenschule. Und Inklusion, also wenn es sich um blinde Kinder handelt, ist es sehr schwierig, weil wir eine Inklusionslehrerin hier haben und die ist auch nur für den Grundschulbereich zuständig. Das heißt, sind die Kinder aus der Grundschule heraus, wird es eher schwierig. Und das denke ich, ist eigentlich nicht Sinn und Zweck. Und ich denke, viele Eltern möchten ja auch, dass das Kind die möglichst beste Bildung irgendwie bekommt. Also klar kann man nicht pauschal sagen, es ist für alle Kinder die Inklusion gut, aber bei manchen Kindern denke ich einfach, wenn die so fit sind und eigentlich gut klarkommen und in ihrem Netzwerk irgendwie gut eingebettet sind, warum muss man sie dann irgendwie Kilometer weit fahren. Warum kann man denen nicht die Möglichkeit schaffen, dass sie normal beschult werden. Das finde ich manchmal echt schwierig. Oder dass man dann dasitzt und zu den Eltern sagt, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, weil wir hier zum Beispiel noch keine Frühfördermöglichkeiten für den Norden haben in Sachsen-Anhalt. Ich hatte letztens ein Kind, der war ein Jahr und der hat eine Augenerkrankung. Aber dadurch, dass das Kind eben noch nicht aktiv mitmachen kann und nicht sagen kann, das sehe ich und das sehe ich nicht, haben die dem den Schwerbehindertenausweis nicht bewilligt. Und da sitzt m:an dann da und denkt, ich würde jetzt gerne, aber ich kann dir nicht weiterhelfen.

Robert: Andreas, du arbeitest in Magdeburg?

Andreas: Genau.

Robert: Beschreibe doch mal, was du konkret dort machst.

Andreas: Ich bin in der unabhängigen Teilhabeberatung in der sogenannten EUTB. Das ist ein Beratungsangebot, was 2018 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschaffen wurde. Ein Kern der Arbeit ist, erstmal über die ganzen Leistungen, die es gibt, aufzuklären. Und vor allem auch über die Leistungsträger. Das ist sehr kompliziert, wer was bezahlt, das herunterzubrechen. Ob es die Krankenversicherung, die Rentenversicherung, die Eingliederungshilfe, die Agentur für Arbeit, wer jetzt zuständig ist. Eigentlich sollte das nicht kompliziert sein, weil jeder Träger das dem richtigen zuschicken muss. Und da setzen wir im Prinzip an. Ich versuche immer, möglichst einfach zu beschreiben, was es für Leistungen gibt. Also natürlich immer in dem Kontext, was ist interessant für die Leute. Oft ist das einfach ganz klassisch, beim Blinden- und Sehbehindertenverband kommen natürlich viele Menschen mit einer Sehbehinderung oder blinde Menschen und dann geht es oft um Assistenzleistungen. Das ist eine persönliche Assistenz. Das bedeutet, man bekommt Geld dafür, dass man sich Unterstützung einkauft. Zum Einkaufen, es gibt eine Arbeitsassistenz, es gibt Elternassistenz für behinderte Eltern. Die können für die...

Robert: Betreuung?

Andreas: Ja, Erziehung ist...

Anne: Alltagsbegleitung...

Andreas: Also das, was nicht behinderte Eltern mit ihren Kindern auf dem Spielplatz machen zum Beispiel, da können Eltern mit einer Behinderung eine Elternassistenz beantragen, damit sie denselben Spaß auf dem Spielplatz haben.

Robert: Ja. Aber das ist ganz spannend, ich merke schon bei deiner Suche nach den richtigen Worten, wie dünn dieses rechtliche Eis bisweilen auch zu sein scheint. Also es wirkt schon so, als ob man sich durch viele, viele Paragraphen durcharbeitet. Also du konkret. Ich wüsste nicht, ob ich das als Privatperson könnte, wollen würde, et cetera. Also ich finde es auch ein bisschen schade, dass man hierzulande um die richtige Leistung oder um eine Assistenz zu bekommen sich durch so einen Dschungel durchwühlen muss. Aber gut, dass es Menschen wie dich gibt, die dabei helfen.

Andreas: Die Idee des Gesetzgebers ist ja gerade, dass man das eigentlich nicht muss, aber natürlich ist das, was man sich als Gesetzgeber überlegt, muss unten in der Verwaltung ja auch ankommen und muss da auch so gelebt werden. Und wenn das nicht deckungsgleich ist, hat man sich schon überlegt, dann bräuchten wir noch eine Beratungsstelle, die EUTB, die in diesen Prozessen im Verwaltungsprozess einfach die Menschen unterstützt. Aber mir ist es ganz wichtig, und ich glaube, das ist bei vielen in der Beratungsstelle so, dass man es den Leuten nicht einfach abnimmt, sondern dass man die Leute mitnimmt in diesem Prozess. Mir ist das ganz wichtig, dass die Leute verstehen, was wir da machen und dass die Leute auch mehr Verständnis manchmal vielleicht haben, warum Sachen manchmal kompliziert sind.

Robert: Verstehe ich. Also nicht den fertigen Kuchen mitbringen, sondern zeigen, wie man den Teig selbst anrührt.

Andreas: Ja.

Robert: Wir hätten uns vorher nicht über Kuchen unterhalten sollen, merke ich gerade.

Anne: Und den Prozess sind wir auch zusammen durchgelaufen.

Andreas: Genau, ich habe Anne sehr viel gepiesackt, dass sie das für sich auch machen soll, eine persönliche Assistenz zu beantragen.

Robert: Das ist ganz spannend, wie seid ihr denn überhaupt zueinander gekommen? Ihr seid euch sicherlich im beruflichen Kontext über den Weg gelaufen. Wie seid ihr dann zusammengekommen, auch zu dem Podcast dann?

Anne: Wir haben zur gleichen Zeit neu angefangen und mussten dann die Blickpunkt Auge Schulung zusammen machen. Das heißt, wir sind dann zusammen dahingefahren. Da haben wir natürlich auch so ein bisschen näher kennengelernt, sowas ist ja auch immer ganz gut. Wir hatten dann eben in der Zukunft dann doch ein bisschen mehr miteinander zu tun. Dann auch zum einen durch meinen eigenen Assistenzantrag, wo Andreas dann immer wieder nachgehakt hat, willst du denn nicht doch. Ich wollte nämlich erst nicht. Und dann hat sich das halt so entwickelt.

Andreas: Ja, aber ganz wichtig ist, Anne, warum wolltest du das nicht? Nicht, weil du keine Assistenz haben wolltest, sondern weil dir das zu aufwendig war.

Anne: Richtig, genau.

Robert: Verrückt! Pardon, also nicht „verrückt“, aber der Umstand, dass das so kompliziert ist und dass man abgeschreckt wird, sowas einzufordern, obwohl es ja total sinnvoll ist.

Anne: Es ist ja auch noch nicht lange so. Ich hatte zum Beispiel 2018 schon einmal das persönliche Budget beantragen wollen und da hieß es dann damals Sie werden da aber nicht mehr als fünfzig Euro bekommen. Und jetzt halt durch das Bundesteilhabegesetz hat sich da schon auch so ein bisschen verändert, sodass Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit auch die Möglichkeit haben, eine Freizeitassistenz zu bekommen. Und da habe ich gedacht, dann probiere ich es doch noch einmal. Und ich muss eigentlich sagen, ich profitiere davon auch total.

Robert: Darf ich mal neugierig nachfragen, damit sich auch die geneigte Hörerin, der geneigte Hörer vorstellen kann, was es bedeutet, so im Alltag?

Anne: Vielleicht erstmal vorab, es ist bei jedem unterschiedlich. Bei mir ist es so, ich nutze die Assistenz hauptsächlich für Freizeitaktivitäten. Es gibt zum einen wöchentliche Sachen, zum Beispiel Reiten, oder ich habe auch noch Gesangsunterricht, wenn ich da einen Auftritt habe oder so, dann nehme ich mir die Assistenz mit. Dann machen wir auch Alltagsgeschichten, wir gehen einkaufen, das ist ein totales Privileg, wenn ich jetzt sagen kann, ich muss nicht nur zu dem Edeka gehen, wo ich den Weg kenne, sondern ich kann zu meinem Assistenten, der ein Auto hat, auch sagen, heute möchte ich zu Kaufland, oder heute möchte ich was weiß ich, zu Aldi oder keine Ahnung. Das ermöglicht einem auf einmal viel, viel mehr. Oder wir machen die Post zusammen. Ich habe mit meinem Assistenten dieses Jahr schon zwei größere Ausflüge gemacht. Und dann begleiten die mich eben auch zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Robert: Ja. Also einfach ein Plus an Flexibilität.

Anne: Auf jeden Fall. Wenn ich jetzt jemanden vom Bahnhof abholen möchte, muss ich nicht mehr sagen, ich bestelle dir ein Taxi, sondern ich kann mit dem Assistenten dahin fahren und den abholen. Oder ich kann mit dem Assistenten einen vorhin schon erwähnten Kuchen backen. Es ist eine ganz andere Art von, wie nennt man das, Freiraum, Freizeitgestaltung, die man hat. Ich sage immer zu sehenden Menschen, die können sich das gar nicht vorstellen, irgendwie.

Andreas: Wichtig in dem Zusammenhang noch zu erwähnen ist, dass Anne für ihre Assistenz selbst die Arbeitgeberin ist. Also es ist nicht, dass sie die von den Johannitern oder Maltesern nach Bedarf bekommt. Also sie muss nirgendwo anrufen und sagen, ich brauche Dienstag 15:00 bis 17:00 Uhr jemanden und die sagen, rufen Sie aber spät an, müssen wir erstmal gucken, ob wir das machen können, sondern Anne ist selbst Arbeitgeberin und hat die Menschen bei sich angestellt.

Anne: Genau.

Andreas: Und dadurch natürlich diese Flexibilität. Das wird dadurch nochmal stärker.

Anne: Ich habe drei Minijobber und die plane ich mir dann. Ich kenne ja meine Assistenten mittlerweile und ich kenne auch deren Präferenzen. Und dann kann ich die mit denen eigentlich ganz gut tackten. Und das ist schon ein hohes Maß an Flexibilität.

Robert: Finde ich schön. Ich stelle mir gerade die Frage, in einer Episode haben wir über solche Programme, die Assistentinnen und Assistenten ausbilden, gesprochen. Deswegen bin ich da jetzt so ein bisschen hellhöriger. Wo rekrutierst du deine Assistentinnen?

Anne: Das ist tatsächlich hier gerade in einer Kleinstadt ein schwieriges Thema. Meine erste Assistentin über ein anderes Arbeitsverhältnis hat er dann gesagt, Mensch hast du nicht Lust, ich mache das. Und das hat sich dann aber auf Dauer nicht so ergeben. Also das hat nicht gepasst. Das Ding ist halt, dass man bei Assistenten einfach erst nach einer Weile merkt, ob das passt oder nicht. Und ansonsten lief das über Mund zu Mund Propaganda, eBay Kleinanzeigen und die Hochschulseite. Wobei, ich habe da schon die interessantesten Erfahrungen gemacht, ohne jetzt im Einzelnen näher darauf einzugehen, denn ich möchte auch keinen bloßstellen oder so. Aber ich mache oft die Erfahrung, dass Leute sich das einfach vorstellen, meinen, ich mache jetzt hier mal eine Betreuung also keine Assistenz, sondern die sehen das wirklich als eine Betreuung und um vielleicht selber irgendwie ihren Spaß zu haben, was natürlich einerseits gewünscht ist, aber wenn es dann soweit geht, dass sie vergessen, warum sie da sind, ist das natürlich schwierig. Viele wollen vielleicht das Beste und es ist dann aber nicht so, dass das dauerhaft passt. Also ich habe jetzt meine jetzigen Assistenten seit einem halben Jahr und das ist eigentlich jetzt schon relativ lang. Also ich hoffe, dass es auch so bleibt, aber in der Anfangszeit habe ich teilweise Assistenten nicht länger als drei Monate gehabt, weil ich dann wirklich im Laufe der Zusammenarbeit gemerkt habe, dass es einfach nicht zu meiner Zufriedenheit war.

Andreas: Ich glaube, man unterschätzt das auch als Assistenz. Also die Kompetenz, die Anne ja hat, oder durch dieses Modell, dass sie Arbeitgeberin ist, hat sie ja diese Planungs- und auch die Personalkompetenz. Das ist natürlich eine Freiheit, aber es ist auch eine Herausforderung, das selber zu machen. Und selber Arbeitgeberin und Chefin zu sein, so wird man ja nicht geboren, dass man das kann und diese Kompetenzen auch hat. Ich habe fast zehn Jahre 24 Sunden-Assistenz gemacht, von daher weiß ich ein bisschen, wie man sich da zurücknehmen muss in seiner Persönlichkeit. Und das muss man können.

Robert: Darf ich fragen, Andreas, in welchem Bereich du assistiert hast oder in welchem Bereich du als Assistenz gearbeitet hast?

Andreas: Das war auch im Verein. Bei der Selbsthilfe Körperbehinderter in Göttingen. Das ist ein Assistenzverein, den es leider in Stendal nicht gibt. Die nehmen einem diese Personalplanung ab, aber die belässt trotzdem die Kompetenz bei den Leuten. Also jemanden auszusuchen und die Zeiten zu planen. Aber sie unterstützen einem dabei sehr, die Menschen zu finden, die Menschen anzustellen, die Lohnabrechnung und solche Sachen übernehmen sie dann, so ein Assistenzverein. Und da habe ich so eine 24 Stunden-Assistenz gemacht. Und das kann man wie Anne sagt, nach drei Monaten, das ist so die Probezeit, da merkt man dann, ob man das hinbekommt. Ich meine, Anne, wie lange sind die Leute im Schnitt am Tag bei dir?

Anne: Am Tag vielleicht zwei, drei Stunden. In der Woche so zwanzig Stunden.

Andreas: Aber zurücknehmen müssen sich die Leute ja trotzdem.

Anne: Ja.

Andreas: Sie müssen es überwinden, dass sie für dich handeln.

Anne: Und was ich auch immer noch merke, also was diesen Job vielleicht auch nochmal herausfordernder macht, ich habe nicht das Gefühl, mit Arbeitskräften zu arbeiten, sondern es ist zumindest für mich eine sehr schmale Grenze zwischen dieser Person, die mir jetzt hilft, zu jemandem, den ich mag. Also fast schon zu einem freundschaftlichen Verhältnis. Aber so möchte ich das eigentlich auch.

Robert: Ja. Da werfe ich vielleicht eine ganz, ganz kurze persönliche Anekdote ein. Ich habe damals sehr, sehr gerne als Zivildienstleistender bei einem unfassbar lieben, netten Rolli-Fahrer gearbeitet. Und als man sich so nach den ersten Wochen dann auch emotional und von dem Gedanken her darauf eingelassen hat, war das unfassbar bereichernd. Man hat viel zusammen gemacht. Da verschwammen natürlich auch mal ein bisschen die eigentlichen Arbeitszeiten, aber ich fand das nicht schlimm, weil das hat sich sehr organisch ergeben. Wenn man eine Schicht hatte, ich sage jetzt mal von 16:00 bis 22:00 Uhr oder so und man war mit ihm auf einer Feierlichkeit, da war ich persönlich der letzte, der dann sagt, jetzt ist es 22:00 Uhr, jetzt packe ich dich wieder ein und wir fahren nach Hause. Dann ist man halt da, bis er sagt, jetzt reicht es. Und man war damals noch jung und am Anfang ist es schon so eine Überwindung, weil es natürlich auch so etwas wie Berührungsängste gibt. Menschen, die eine Einschränkung haben, da kann nicht jeder gleich mit umgehen. Also zeitlich nicht gleich mit umgehen, aber man kann auch nicht mit jedem Menschen gleich umgehen. Und als dann diese Barriere weg war und man sich dann darauf verständigt hat, man hat so einen Rhythmus gefunden, man hat gut miteinander harmoniert, da fand ich das ganz wunderbar. Und ich kann mir nur vorstellen, dass das auch so ein Ziel ist, was man, Anne, in deinem Fall wahrscheinlich auch hat, dass man die Leute längerfristig emotional, ich sage jetzt mal, nicht bindet, das klingt immer gleich so fordernd, aber dass man eine Beziehung über eine Arbeiter-Arbeitnehmer-Beziehung hinaus aufbaut.

Anne: Ja, im besten Fall ist es etwas für beide. Also im besten Fall kriege ich von beiden die Rückmeldung, also von der, die ich jetzt ein halbes Jahr habe, dass sich jetzt eine Beziehung entwickelt, auch von ihrer Seite aus. Das ist jetzt auch schon und ich meine, so soll das ja im besten Fall tatsächlich auch sein.

Robert: Wir kommen mal zur Vorstellung Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt e.V.. Einer von euch beiden kann ja mal kurz umreißen, was ist der BSVSA, vielleicht eine Gründungszahl, et cetera. Helft uns mal, den Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt kennenzulernen. Einer von euch beiden, das könnt ihr euch auswürfeln.

Anne: Du oder ich?

Andreas: Wir können es ja beide machen.

Anne: Ja.

Andreas: Der Blinden- und Sehbehindertenverband in Sachsen-Anhalt gibt es seit Anfang der Neunziger, gab es aber auch schon in anderer Form zu DDR-Zeiten, etwas Vergleichbares. Meine ersten Berührungspunkte waren, als ich dort angefangen habe zu arbeiten. Aber ich finde, es ist eine großartige Einrichtung, weil es Selbsthilfe ein Stück weit professionalisiert, wenn man so einen Dachverband drüber hat. Es gibt die Selbsthilfe-Kontaktstellen, das ist vielleicht etwas Ähnliches, dass man als Selbsthilfegruppe wie so ein Backoffice hat. Das ist eine gute Sache. Das ist wichtig, um zum Beispiel eine Krankenkassenförderung zu bekommen oder ähnliche Sachen. Die erleichtert das natürlich. Und es gibt wie die Beratung, die Anne und ich machen und solche Sachen. Für die Mitglieder und Gruppen, die es in dem Land gibt, ist der Verband dahinter wichtig und gut.

Anne: Ich würde die Verbandsarbeit immer in zwei Bereiche teilen. Das eine ist die Beratung, also das, was wir im Blickpunkt Auge machen und was Andreas auch in der EUTB macht. Und es gibt nochmal den Bereich der Selbsthilfe, also dass wir unter anderem auch die Selbsthilfegruppenleiter unterstützen, wenn die bei der Planung von Veranstaltungen Hilfe brauchen, dass wir denen, wenn sich Mitglieder bei uns melden und wir die zu sortieren, dass wir die an die Selbsthilfegruppenleiter weiter vermitteln, dass wir unterstützen, wenn die Gruppenleiter Veranstaltungen in ihren Gruppen durchführen möchten, dann helfen wir bei der Organisation. Und es ist auch so, dass wir zumindest hier für den Bereich Nord auch einmal im Jahr eine Fahrt anbieten. Das ist jetzt aber aufgrund von Corona in den letzten Jahren weggefallen.

Robert: Ja. Anne, du hast gerade gesagt, Bereich Nord.

Anne: Genau, also der Verband teilt sich in vier Bereiche. Das ist einmal unser Bereich hier, der Bereich Nord. Also Teile von der Behörde und der ganze Altmarkkreis. Und dann gibt es Magdeburg, was seid denn ihr? West?

Andreas: West.

Anne: West, genau. Dann gibt es Süd, das ist Halle.

Robert: Und dann ganz interessant, nach den vier Himmelsrichtungen benannt, die Bereiche heißen Nord, West, Süd und Elbe-Mulde.

Anne: Ja genau.

Robert: Die bekannten Himmelsrichtungen Nord, West, Süd und... Elbe-Mulde. Wer kennt sie nicht?

Anne: Ja.

Robert: Da bin ich auch bloß Kind, aber darf ich mal fragen, warum statt Ost Elbe-Mulde eingetragen ist?

Andreas: Oh Gott, das weiß ich leider nicht.

Anne: Das weiß ich auch nicht.

Robert: Da hat man sich nach der Wende, 1990 ist der Verein glaube ich gegründet, der e.V., hat man sich so sehr um den Begriff Ost herumgedrückt, dass man gesagt hat, wir suchen irgendwie eine Alternative?

Anne: Das weiß tatsächlich gar nicht. Also wer es weiß, kann es ja euch ja irgendwie noch schicken.

Robert: Ja, gerne.

Anne: Oder in die Kommentare schreiben.

Robert: In den Shownotes gibt es Möglichkeiten für Feedback, da schlüsseln wir auch nochmal die ganzen Zahlen auf. Aber da bin ich, ich würde nicht sagen, drüber gestolpert, aber ich musste schon sehr schmunzeln.

Andreas: Und entsprechend dieser Gruppen gibt es ja dann auch Beratungsstellen in Stendal, Magdeburg, Dessau und in Halle.

Robert: Die Beratungsstellen, wir haben es schon ein paarmal gesagt, heißen...?

Andreas: Blickpunkt Auge. Das ist eine eigene Marke.

Anne: Genau, die ging glaube ich 2012 an den Start. Mir fehlt gerade die Formulierung dafür.

Robert: Nein, passt.

Anne: Aber die gibt es seit 2012 und seitdem gibt es dieses Beratungsmodell Blickpunkt Auge. Da durchläuft auch jeder Berater, der neu dazukommt, auch diese Schulung von Blickpunkt Auge. Die haben wir vorhin schon einmal kurz angesprochen, die besteht aus drei Modulen, in denen man ganz viel rund um das Auge, Augenerkrankungen, Hilfsmittel, rechtliche Informationen, Kommunikation, also ganz viele verschiedene Dinge lernt und damit dann beraten kann, oder noch einmal spezifisch auf das Thema Sehbehinderung vorbereitet ist.

Andreas: Das ist auch so ein Angebot für die Selbsthilfegruppen.

Anne: Ja.

Andreas: Also man kann sich über den Landesverband kostenfrei für die Schulung anmelden und kann dann diese Schulung absolvieren und ist dann auch fit für die Selbsthilfegruppe. Als Leiter einer Selbsthilfegruppe kann man das machen. Und man kann dann natürlich ehrenamtlich andere Menschen beraten. Genau, Angebot für die Selbsthilfe, Beratung auch so ein bisschen professionalisieren, das war der Gedanke dabei. Und zu den vier Beratungsstellen gibt es noch ein Blickpunkt Auge Mobil, das von Marktplatz zu Marktplatz fährt und dann vor Ort mit den ehrenamtlichen beratenden Menschen aus der Region vor Ort berät. Also ist das idealerweise immer jemand aus der Gruppe vor Ort. Also meinetwegen nach Blankenburg kommt eine ausgebildete Person aus Blankenburg aus der Gruppe mit zum Mobil, stellt die Selbsthilfegruppen vor und gleichzeitig gibt es Beratung.

Robert: Wie wird das wahrgenommen oder wie wird das genutzt? Kommt das an?

Anne: Ich hake da einfach noch einmal ein. Das Ziel ist, dass die Menschen erreicht werden, die nicht in die Beratungsstellen kommen können, weil es einfach zu weit ist, oder sie nicht die Möglichkeiten haben. Und dadurch wird es ganz gut genutzt, weil das natürlich die Menschen dann in Anspruch nehmen, weil es dann direkt in Anführungsstrichen vor ihrer Haustür ist.

Andreas: Ja. Die Öffentlichkeitarbeit wird dann immer von den Menschen vor Ort koordiniert und gesteuert. Und dadurch ist das auch immer sehr, sehr unterschiedlich, ob da plötzlich schon dreißig Leute schon um 12:00 Uhr warten, oder man vielleicht nicht so viele Beratungen an einem Tag hat. Das ist immer ganz unterschiedlich auch vom Ort, wo man ist. Wenn man das mit so einem Markt kombiniert, wenn also eh Markttag in einer Stadt ist, dann ist glaube ich immer richtig viel los. Ich fahre da nicht mit, deswegen weiß ich das nicht. Anne, du bist ja manchmal auch dabei, du weißt das ja sicherlich. Manchmal kommen wenig Leute und manchmal kriegt man es gar nicht hin, so viele Leute stehen dann dort.

Anne: Was ich da noch gerne zu sagen würde, für alle, die das jetzt hören und vielleicht nutzen wollen, wir in diesem Beratungsmobil machen tatsächlich nur Beratungen. Also wenn eine Sehbehinderung diagnostiziert wurde. Viele kommen nämlich zu uns und möchten eine Augenuntersuchung haben oder denken, das ist ein Mobil, wo man sich die Augen angucken lassen kann. Das tun wir nicht. Und deswegen, bitte wenn es gravierende Symptome an den Augen gibt, bitte nicht auf uns warten, sondern sich schleunigst einen Augenarzt suchen.

Andreas: Sternchen, oder das Beratungsmobil der Uni-Augenklinik Magdeburg, das fährt auch durch die Dörfer.

Robert: An der Stelle werden es die Hörer und Hörerinnen wissen, aber genau solche Hinweise findet ihr in den Shownotes. Ja, finde ich gut. Und die Ausbildung zur Selbsthilfeleitung oder Leitung für die Selbsthilfegruppe scheint ja auch gebraucht zu werden. Ich habe gelesen, ihr habt rund hundert Selbsthilfegruppen unter dem Dach des BSV Sachsen-Anhalt. Wie sieht denn so ein Selbsthilfetreffen aus? Also da ist der Unterschied, wir haben hier in dem Podcast immer verschiedene Ebenen. Mal sind wir auf Landesebene unterwegs, jetzt gerade geht es ja auch um die Landesebene, BSV Sachsen-Anhalt, manchmal geht es aber wirklich auch um die regionalen Gruppen. Und die Leute, die die Angebote am Ende wahrnehmen, gehen ja oft eher zu den lokalen, regionalen Treffen. Deswegen frage ich immer gerne ab, was die Leute denn dort vor Ort erwartet. Also mit welchen Erwartungen kann man da hingehen? Oder mit welchen Erwartungen sollte man da auch nicht hingehen? Das finde ich auch immer ganz spannend. Anne, fang du einfach mal an.

Anne: Ich habe selber drei Gruppen, die ich mittlerweile betreue. Und ich versuche meine Gruppen immer so zu gestalten, dass es natürlich einen Austausch gibt, dass die Leute sich treffen, dass aber im Fokus natürlich auch das Thema Austausch Blindheit, Sehbehinderung, dass das nicht aus dem Fokus verloren wird. Ich schaue dann, dass es entweder einen Austausch gibt zu dem Thema Hilfsmittel. Ich bringe dann vielleicht auch mal etwas mit, wie eine meiner neuen Errungenschaften. Oder es gibt dann Fragen, oder Menschen brauchen zum Beispiel Nachschub an Abzeichen oder ähnlichen Sachen. Und ich mache mit meiner Gruppe oder meinen Gruppen auch Dinge kultureller Art, die sie vielleicht so in ihrem Alltag nicht machen könnten. Also zum Beispiel haben wir jetzt im Juli eine Fahrt zum Alpaka-Hof geplant. Also ich versuche da wirklich auch immer den Aspekt mit zu betrachten, die Möglichkeit zu geben, etwas anzufassen, etwas zu hören, etwas zu spüren. Also dass die Menschen etwas von der Welt erfahren trotz der Sehbehinderung oder Blindheit. Das finde ich ganz wichtig, weil man sich sonst einfach gewisse Dinge nicht vorstellen kann.

Robert: Ja. Andreas, du hast etwas zu ergänzen?

Andreas: West ist unser Bereich. Magdeburg ist West. Wir fahren in die Gruppen. Also die Gruppen rufen bei uns an und sagen könnt ihr nicht mal wieder vorbeikommen. Wir treffen uns dann und dann, habt ihr da Zeit und Lust, einfach vorbeizukommen und ein paar Sachen zu erzählen. Das ist das, was wir dann machen. Und dann sind immer unglaublich viele Fragen von allen Menschen. Was gibt es Neues irgendwie zur Pflegeversicherung, was ich vorhin ja schon gesagt habe. Es ändert sich ja ständig irgendwas und die Leute bekommen es immer aus der Apotheken Umschau oder irgendwie so mit und dann versucht man das einfach irgendwie konkreter zu machen. Und dann haben wir noch überregionale Angebote, ein bisschen aus Magdeburg. Wir haben zum Beispiel Bogenschießen für blinde und sehbehinderte Menschen, wir haben Tischball, verschiedene Sportangebote, da können die Menschen natürlich von überall auch zu uns kommen. Und solche Sachen verbreiten wir dann im Prinzip auch in den Gruppen.

Robert: Was war für euch jeweils der Punkt oder vielleicht sogar das auslösende Ereignis, an dem ihr gesagt habt, das ist jetzt mein Einstieg in die Selbsthilfe oder jetzt möchte ich mit Menschen arbeiten, jetzt möchte ich Menschen helfen? Ich würde jetzt mal bei Andreas anfangen.

Andreas: Also mein Einstieg in die Selbsthilfe war als ich das erste Mal damit in Berührung gekommen bin, mit Selbsthilfe an sich war bei der Selbsthilfe Körperbehinderter in Göttingen. Auch ein ähnlicher Verein.

Robert: Oder hast du dich aktiv dafür entschieden, oder... wie kamst du dahin?

Andreas: Da habe ich auch gearbeitet. Tatsächlich immer aus dem beruflichen Kontext. Aber ich habe mich natürlich aktiv dafür entschieden, neben meinem Studium dort zu arbeiten.

Robert: Ja. Warum?

Andreas: In dieser persönlichen Assistenz, weil ich das einfach eine großartige Sache finde. Also das hat sich natürlich erst im Laufe der Zeit für mich so herausgestellt, dass das eine großartige Sache ist. Und vor allem merkt man das immer, wenn man nach Sachsen-Anhalt kommt, wie großartig das tatsächlich ist, weil es das hier nicht gibt. 24-Stunden-Assistenz, großartige Sache, aus der Selbsthilfe organisiert. Also Menschen, die das nutzen, arbeiten in diesem Verein. Und das finde ich ganz wichtig, dass man dann auch Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung ist, aus der Selbsthilfe heraus, weil dann aus der Selbsthilfe Sachen entstehen. Das habe ich da wahrgenommen und das finde ich ganz wichtig. Anne hat das ja vorhin auch schon so ein bisschen beschrieben, weil das so ein bisschen wieder eine Spontanität im Leben gibt. Man ist nicht den ganzen Tag abhängig davon, wann der Pflegedienst kommt. Kommt der um neun, dann kommt der eine Stunde zu spät, dann kommt er gar nicht, dann kommt Frau Müller, die mag ich nicht und dann kommt der. Sondern dass man das einfach selber planen kann und dass man dadurch natürlich auch einfach ein Stück weit Flexibilität und Spontanität zurückbekommt und sich nicht das ganze Leben darum dreht, wie ich meine Unterstützung organisiere, sondern dass man davon in einem gewissen Maße frei wird.

Robert: Anne, wie war es bei dir?

Anne: Ich würde da differenzieren. Also privat glaube ich, gab es da keinen Punkt, denn es gab immer einen Austausch. Vielleicht war das früher mit Lehrern, mit Mitschülern, Freunden. Und da denkt man nicht so wirklich drüber nach, ob das jetzt Selbsthilfe ist oder nicht. Oder wenn sich die Eltern informieren. Und irgendwann kam dann bei mir der Punkt, dass für mich klar war, ich möchte jetzt gerne auch mit Menschen mit Behinderung arbeiten. Wobei ich da nicht spezialisiert war. Also ich finde es einfach wichtig, Menschen mit Behinderung irgendwie Unterstützung anzubieten, dass sie eine Möglichkeit haben, vielleicht ihr Leben mitzugestalten und selbstbestimmt zu gestalten. Also ich sage das so, weil ich hatte auch schon einmal zwei Jahre mit geistig behinderten gearbeitet und habe da zum einen an einem Aktionsplan mitgearbeitet und die auch psychologisch beraten. Und da ging es auch ganz viel um Lebensgestaltung. Bei mir zum Beispiel. Ich meine, ich wohne alleine, ich kann es mir selbe aussuchen. Die wohnen nicht alleine und die können sich auch ihre Assistenz nicht aussuchen. Also ich fand es wichtig, diesen Bereich. Und ich finde es auch immer noch wichtig.

Robert: Diese weißen Linien, die man überall am Bahnhof und in Großstädten vereinzelt auch wo anders sieht, das sind taktile Leitlinien?

Andreas: Genau.

Robert: Ich versuche, es mal gerade ein bisschen haptischer zu machen. In Magdeburg an Straßenbahnhaltestellen, da gibt es auch diese taktilen Leitlinien. Da passiert es häufiger, zumindest in meiner Wahrnehmung, dass blinde Menschen mit dem weißen Stock diese Linien entlang gehen, ab und an auch mal von dieser Linie abkommen, mal stehenbleiben und sich vermutlich orientieren. Und bei mir ist dann immer sofort der Drang da, hingehen zu wollen, nachzufragen, kann ich helfen, kann ich nicht helfen. Oder wie kann ich helfen.

Anne: Nicht sofort.

Robert: Genau, Anne weiß schon, worauf ich hinaus will. Wie geht man mit blinden Menschen in so einem Kontext um? Also man möchte ja eine helfende Hand reichen.

Anne: Das ist schwierig. Ich habe es auch manchmal einfach nur, dass ich das Bushäuschen nicht direkt treffe, oder mich manchmal verlaufe. Ich meine, man kann es ja erstmal beobachten und wenn man das Gefühl hat, derjenige ist absolut hilflos, dass man dann vielleicht schon einmal fragt, kann ich Ihnen helfen. Dann wird derjenige ja sagen. Entweder ja, das ist super oder derjenige sagt dann irgendwie nein danke, ich komme zurecht. Oder bin ich da und da. Dass er dann auch seine Frage stellt. Wenn er das aber nicht möchte, dann ist es auch ratsam, es dann auch zu lassen. Und vor allem bitte, das erlebe ich, fassen Sie die Leute nicht einfach an.

Robert: Ja, interessant. Ich wollte genau das gerade nachsetzen, weil es mir dann auch häufig auffällt, aber das ist nur meine Wahrnehmung. Also als Paradebeispiel, was ich erlebt habe, eine sehr liebe ältere Dame sieht, dass ein Mann an so einer Leitlinie entlang läuft und stehenbleibt. Und ihr erster Impuls scheint es gewesen zu sein, dorthin zu gehen, dem Mann an den Arm zu greifen und etwas zu laut zu fragen, junger Mann, kann ich Ihnen helfen? Und ich habe gedacht, ich kann mir jetzt nur vorstellen, wie das wohl für den Mann gewesen war, aber das ist sichtlich der falscheste Weg, den man gehen kann.

Anne: Ja, oder ich erlebe das auch, wenn ich einen Weg offensichtlich kenne und ich gehe einfach weiter und ich bekomme trotzdem eine Wegbeschreibung. Ich sage nein danke, total nett, aber ich komme klar, und habe die Hand an der Schulter.

Robert: Ja.

Anne: Also ohne ersichtlichen Grund habe ich trotzdem eine Hand an mir. Warum? das ist dann meine Frage. Mir geht es manchmal auch ein bisschen zu nah, oder es ist mir zu, ich weiß nicht, kann man es übergriffig nennen?

Robert: Wenn du es als übergriffig wahrnimmst, dann kann man das auch so benennen. Ich bin sicher, dass die wenigsten, die ihrem Impuls dann nachgeben, das auch so als Übergriffigkeit initiieren. Aber das ist ganz spannend. Wenn man jetzt gerade zuhört und vielleicht in einer ähnlichen Situation schon einmal war und man sieht blinde Menschen oder Menschen mit… was ist eigentlich die Bezeichnung für den weißen Stock? Der weiße Stock, oder?

Anne: Langstock.

Robert: Der Langstock. Wenn man Hilfe anbieten möchte, dann auf jeden Fall erstmal auditiv.

Anne: Ja.

Robert: Einfach fragen, kann ich Ihnen helfen.

Anne: Ja.

Robert: Okay. Punkt.

Anne: Also es spricht nichts dagegen, zu sagen: „Ich sehe Sie hier gerade, brauchen Sie Hilfe?“ Was ich nicht toll finde, sind Anweisungen, „nach links“. Oder auch schön finde ich: „Sie gehen doch sonst immer da lang.“

Robert: Das ist auf mehreren Ebenen unangenehm.

Andreas: Dann bitte auch heute.

Anne: Ja. Und das habe ich dann wirklich straight ignoriert. Also nein, da muss ich mich nicht erklären.

Robert: Nein.

Andreas: Der Langstock ist ja dazu da – korrigiere mich, Anne, wenn ich etwas Falsches erzähle – um zum Beispiel eine Kante zu finden, an der man sich orientiert. Und diese Suche nach dieser Kante gehört ja auch dazu, um sich zu orientieren. Und ich glaube, manchmal hat es für sehende Menschen den Eindruck, wenn jemand etwas sucht, um es dann zu finden, um sich dann selbst zu orientieren, dass das unbeholfen wirkt, oder dass man denkt, da braucht jemand Hilfe. Der irrt da so herum mit dem Stock, das kann nicht gut sein. Aber so macht man das halt. Und das sieht vielleicht für uns sehende Menschen komisch aus, aber so funktioniert es nun einmal.

Anne: Es kann natürlich auch wirklich sein. Genau, einfach fragen. Also wirklich fragen und jemand wird dann sagen, das möchte ich nicht. Aber auf keinen Fall jemanden nehmen, ihn irgendwo hinbringen. Ich hatte das auch schon einmal, dass mir jemand angeboten hat, mich vom Bahnhof mitzunehmen. Und ich habe dann festgestellt, der geht in eine ganz andere Richtung. Das war dann eigentlich mehr Schaden, weil ich dann wieder gucken musste, wo will ich eigentlich hin.

Robert: Ja.

Anne: Und die hat es nicht verstanden.

Robert: Das klingt unangenehm. Okay. Also man kann als Hilfestellung kurz fragen und akzeptieren, wenn es ein nein gibt.

Anne: Ja.

Robert: Alles klar. Ja, wir nähern uns dem Ende. Und da habe ich erfahrungsgemäß immer noch den passenden Aktionstag zu dem aktuellen Thema auf Tasche. Dieses Mal ist es der Welttag des Sehens, der dieses Jahr, 2022 am 13. Oktober stattfindet und jährlich am zweiten Donnerstag im Oktober begangen wird. Ich sage mal, eine kleine Besonderheit, dass es kein fixes Datum ist, sondern sich jeweils dem Monat des Jahres anpasst. Ist das für euch vom BSV SA etwas, der Welttag des Sehens? Ist das ein Aktionstag, den ihr begeht?

Anne: An dem Tag direkt nicht. Wir hier im Nordbereich nicht. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist. Aber in der Woche vom 8. Bis 15. Oktober ist immer die Woche des Sehens. Das heißt, in dieser Zeit ist das eine Aktion vom DBSV, wird auf die Belange von blinden und sehbehinderten Menschen aufmerksam gemacht. Das heißt, das können dann die regionalen Blindenverbände dann machen. Die können auch Fördermittel vom DBSV beantragen. Und bei uns sind dieses Jahr schon verschiedene Sachen geplant. Also wir wollen eine Sportveranstaltung für die Mitglieder machen. Da wissen wir aber noch nicht so richtig, was wir da machen wollen. Dann ist ein Fachtag zum Thema Blindheit, Sehbehinderung für den 12. Oktober geplant. Das wird hier in Stendal im Landratsamt stattfinden. Wer da Lust zu hat, kann sich gerne melden. Und dann ist noch eine Stadtführung geplant. Die soll voraussichtlich am 15. Oktober stattfinden. Das ist der Tag des weißen Stockes. Da geht es darum, dass interessierte Bürger Stendal mithilfe von Simulationsbrillen und Langstöcken erkennen oder erleben können. Wir nehmen gerade einen sogenannten Audiospaziergang auf, in dem ein Stadtführer etwas über die Stadt und über die einzelnen Sehenswürdigkeiten berichtet. Und dazu gibt es natürlich auch die passenden Geräusche. Da haben wir letzte Woche oder vorletzte Woche die Aufnahmen dazu gemacht. Und der Plan ist, dass diese CD an diesem 15. Oktober zu veröffentlichen. Und da würde ich auch noch eine Lesung anbieten.

Robert: Ganz schön umfangreich, das Programm.

Andreas: Da können wir in Magdeburg nicht mithalten. Aber müssen wir auch nicht.

Robert: Nein. Aber ist das bei euch in Magdeburg ein Thema, Andreas?

Andreas: Wir hatten jetzt zum 5. Mai einen großen Aktionstag in Magdeburg. Das war sehr, sehr cool. Auch mit verschiedenen Akteuren, die dann alle zusammengekommen sind. Der 5. Mai ist der Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, ein europäischer Protesttag. Und wir werden im Oktober sicherlich noch eine kleinere Aktion machen, was öffentlichkeitswirksam ist.

Robert: Das erfahren wir dann. Der Transparenz halber, wir zeichnen jetzt im Juni?

Anne: Im Juli.

Robert: Wir zeichnen im Juli 2022 auf. Das heißt, die Aktionen, die jetzt genannt wurden, beziehen sich auf 2022. Falls sich hier jemand den Podcast 2032 anhört.

Anne: Ja, guter Hinweis.

Robert: Okay. Zum Ende einer jeden Episode habe ich immer noch eine Frage. Womöglich habt ihr schon einmal eine Episode gehört, dann wisst ihr, welche Frage jetzt kommt. Nehmt euch für die Antwort gerne einen kleinen Moment, denn es geht um folgendes: beschreibt Selbsthilfe in einem Wort. Was bedeutet für euch Selbsthilfe und Selbsthilfearbeit in einem Wort? Anfangen kann, wer will. Nehmt euch einen ganz kleinen Moment Zeit. Kondensiert eure ganzen Gedanken aus den gefühlt zwei Stunden Gespräch eben in ein Wort und dann lasst es raus.

Andreas: Chronisch unterschätzt.

Robert: Lasse ich durchgehen. Anne?

Anne: Produktiver Austausch. Das waren zwei Wörter.

Robert: Das lasse ich auch als Antwort durch. Okay, damit sind wir am Ende angekommen. Ich bedanke mich bei Andreas und Anne ganz herzlich dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, dass ihr euch konkret auch die Zeit genommen habt. Ich bedanke mich bei der Hörerschaft, dass Sie sich die Zeit genommen hat, bei uns einzuschalten, Radiosprache, mal einfach auf Play zu drücken bei einem Podcast-Anbieter eurer Wahl. Ich wünsche euch, Anne und Andreas noch viele, viele gute Gespräche, eine gute Zeit in der Selbsthilfe und Selbsthilfearbeit. Und wie immer noch einmal der abschließende Hinweis auf die Shownotes. Wenn ihr Anregungen habt, produktives Feedback, lasst gerne etwas da. Und kommt ansonsten gut durch den Tag. Ich verabschiede mich. Tschüss. Ihr euch auch?

Andreas: Vielen Dank für die Einladung.

Anne: Ja, vielen Dank.

Andreas: Ciao.

Anne: Ciao.

Robert: Tschüss.

Robert: Credits

Robert:

Robert: „ausgesprochen menschlich - Selbsthilfe auf Sendung“ ist ein Podcast der AOK Sachsen-Anhalt. Redaktion und Moderation übernehme ich, Robert Gryczke. Redaktionelle Unterstützung und Koordination liefert Gerriet Schröder von der AOK. Technische Umsetzung und Schnitt leistet Axel Fichtmüller.

Robert:

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